Der Frühling kommt: Geht auf die Straße gegen den Krieg

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Ein Aufruf aus Russland zu Demonstrationen gegen die Invasion der Ukraine

Der folgende Aufruf erschien ursprünglich auf Russisch auf avtonom.org1, der Plattform, die aus dem russlandweiten anarchistischen Netzwerk Autonome Aktion hervorgegangen ist.

Unsere russischen Gefährt*innen berichten, dass nach einem neuen Gesetz, das diese Woche eingeführt wurde, diejenigen, die der Verbreitung von Fehlinformationen über die Invasion in der Ukraine für schuldig befunden werden, zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt werden können. Dies gilt offenbar auch für diejenigen, die die Invasion als ›Krieg‹ und nicht als ›Sondereinsatz‹ bezeichnen, wie es Putins Regierung beharrlich tut. In diesem Zusammenhang zeigen die Demonstrant*innen enormen Mut, indem sie auf die Straße gehen.

Der nächste große Protesttag ist für diesen Sonntag, den 6. März, geplant. Wir hoffen, dass sich Demonstrant*innen auf der ganzen Welt anschließen und von allen Seiten Druck auf die russische Regierung, den globalen Kapitalismus, die militärischen Profiteure und alle anderen Kräfte, die die Invasion unterstützen, ausüben werden.

Um Demonstrant*innen in Russland zu unterstützen, spendet an das Anarchist Black Cross in Moskau. Um Anarchist*innen in der Ukraine zu unterstützen, spendet hier oder hier. Es gibt auch eine anarchistische Solidaritätsstruktur in der Ukraine und weltweit.

Die größten Supporter*innen des heutigen Russlandes

Anti-Kriegs Demo in St. Petersburg, Russland.


Der Frühling kommt: Geht auf die Straße gegen den Krieg

Die russische Armee ist in die Ukraine einmarschiert. Putin ist von Sinnen, und jetzt bombardiert seine Armee Städte, schießt auf Zivilist*innen und tötet Kinder. Bereits mehr als eine Million Menschen sind aus der Ukraine geflohen, um Putins ›Befreier*innen‹ zu entkommen.

Wir weigern uns, uns der russischen Militärzensur zu unterwerfen und sagen offen und deutlich: Das ist ein Krieg. Es handelt sich um einen Angriffskrieg, der von der russischen Armee geführt wird. Die Ukrainer*innen verteidigen sich erfolgreich mit der Waffe in der Hand gegen die Besatzer*innen, aber wir, die wir jetzt in Russland sind, können nicht wegsehen. Wir müssen uns und der Welt zeigen, dass wir gegen diesen Krieg sind, dass nur Putin und seine Bande ihn brauchen. Sich gegen den Krieg zu engagieren – das ist im Moment der wahre Antifaschismus.

Der große Aktionstag gegen den Krieg findet in Russland am 6. März statt, kommenden Sonntag. Kommt auf die zentralen Plätze eurer Städte. In Moskau ist eine der Versammlungen für 15 Uhr auf dem Platz der Drei Bahnhöfe geplant. Es gibt Versammlungen um 19 Uhr und zu anderen Zeiten. Entscheidet und organisiert euch selbst, oder schließt euch euren Freund*innen an. Das Wichtigste ist, dass wir auf Straße gehen.

Nun geraten die russischen Behörden in Panik. Sie haben bereits erkannt, dass sie den Krieg verlieren werden. Deshalb drohen sie Kriegsgegner*innen hysterisch mit Verbannung, Entlassung, sofortiger Einberufung in der Armee und Inhaftierung. Habt keine Angst vor ihnen. Ukrainer*innen protestieren in ihren Städten mit bloßen Händen gegen die Besatzer*innen. Gegen Soldat*innen mit Maschinengewehren. Gegen Panzer. Kann mensch danach noch Angst vor einem rostigen russischen Polizeiauto haben?

Wir fordern eine sofortige Beendigung des Krieges. Wir fordern den sofortigen und bedingungslosen Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine. Dies ist die wichtigste Voraussetzung für weitere Schritte: Die russische Aggression muss aufhören. Wir müssen das Sterben stoppen. Ja, Putin hat uns nicht gefragt, als er seine Invasionspläne schmiedete – aber wir haben ihn nicht rechtzeitig aufgehalten. Dies müssen wir zumindest jetzt tun.

Unser Hauptziel ist selbstverständlich die Beendigung des Krieges in der Ukraine. Aber wir müssen auch für die Zukunft Russlands kämpfen. Der verrückte Diktator hat nicht mehr viel Zeit: Der Krieg, den er noch nicht gewonnen hat, ist nicht nach Plan verlaufen, und es ist nur noch eine Frage der Zeit und des richtigen Mittels, ihn abzusetzen. Doch wie geht es nach Putin weiter?

Die Länder, aus denen die ›Russische Föderation‹ besteht, stehen im Moment an einer historischen Weggabelung. Der Zusammenbruch von Putins Regime könnte emanzipatorische Prozesse in Gang setzen. Zweifellos werden sie nicht unmittelbar zu einem anarchistischen Modell führen – aber zumindest wird Russland dann keinen Krieg mehr mit dem Rest der Welt und seiner eigenen Bevölkerung führen. Auf der Welle des Wandels besteht auch die Chance auf größere Veränderungen des politischen Systems in Richtung einer stärkeren Dezentralisierung – zum Beispiel die vollständige Abschaffung des Präsidialsystems und der Übergang zu einer parlamentarischen Republik, worüber wir schon seit langem sprechen.

Es ist aber auch eine andere Version des ›Was kommt nach Putin‹ möglich: eine noch stärkere Festigung des Regimes, eine vollständige Schließung aller Grenzen und ein Abbruch der internationalen Kontakte. Die Sperrung der Hälfte des Internets in Russland heute Abend ist nur die erste Maßnahme. Es wird keine Kraft mehr für Eroberungskriege geben, aber das wird die Situation für die Bevölkerung nicht verbessern: Sie wird sich in einen Zustand begeben, der an Nordkorea erinnert. Und es gibt kein anarchistische Bewegung in Nordkorea. Ganz und gar nicht.

Das Gesicht der Zukunft Russlands wie auch der Gegenwart? Es bleibt abzuwarten.

Jetzt, in den kommenden Tagen und Wochen, bietet sich uns eine einmalige Gelegenheit. Putins autoritäres Regime hat einen fatalen Fehler begangen und ist ins Wanken geraten. Wenn der Kreml-Psychopath nicht auf den Atomknopf drückt, wird er nicht mehr lange im Amt sein. Und jetzt hängt alles von uns, den Bürger*innen Russlands, ab. Wenn wir schweigen, wird die Tagesordnung schnell von den Isolationist*innen und Konservativen übernommen, die auf den höchsten Regierungsebenen in der Mehrheit sind. Aber wenn wir selbst handeln, werden wir gewinnen. Ein rostiger Riese braucht nur einen Stoß, um zu Staub zu zerfallen.

Geht am 6. März auf die Straße. Wenn du am 6. März nicht kommen kannst, komm an anderen Tagen. Wenn du gar nicht auf die Straße gehen kannst, protestiere auf andere Weise gegen den Krieg: Verteile Flugblätter, klebe Aufkleber, schreibe ›Nein zum Krieg‹ auf Masken, hänge Plakate von Balkonen. Redet endlich mit den Menschen. Das ist jetzt wichtiger als das Studium, wichtiger als die Arbeit, wichtiger als alles in der Welt. Jetzt entscheidet sich nicht nur das Schicksal der Ukraine, sondern auch das von Russland. Unsere Zukunft wird entschieden – und nur wir sind dann dafür verantwortlich, wie sie aussehen wird.

Der Winter neigt sich dem Ende zu. Der Frühling kommt.

Autonomous Action

Ein Aufkleber mit dem Slogan ›No War‹ in St. Petersburg, Russland.

Ein Aufkleber gegen den Krieg in St. Petersburg, Russland.

Ein mit charmanten Anstecknadeln an einem Rucksack befestigtes Schild, das einem russischen Kriegsgegner gehört.

  1. Und die deutsche Version bei Enough is Enough